Homeschooling ist momentan das große pädagogische Thema. Es zieht sich sogar in die Osterferien hinein, die offenbar von einigen Schülerinnen und Schülern dazu genutzt werden (müssen), Versäumtes nachzuholen. Versäumtes? Hieß es nicht, im Rahmen des Homeschoolings würde nur schon bekannter Stoff wiederholt?
Stressfrei zuhause lernen?
Das ist nicht ganz korrekt: Es darf auch neuer Stoff erarbeitet werden, allerdings mit der Auflage, dass er, sobald wieder Präsenzunterricht stattfinden kann, noch einmal in der Schule durchgenommen wird. Außerdem bleibt eine Wiederholungsaufgabe ja immer noch eine Aufgabe, die erledigt werden muss.
Das sind erste Gründe dafür, dass sich bei vielen (mich eingeschlossen) die Realität von der Vorstellung entspannten Lernens zuhause doch merklich unterscheidet. Ein weiterer ist zum Beispiel der nicht zu unterschätzende Aufwand, der notwendig ist,
damit digital organisiertes Lernen möglich ist:
Aufgaben müssen von den Lehrer*innen kommuniziert und von den Schüler*innen erst einmal gefunden werden. Manche Kinder bekommen sie einzeln oder als Wochenpläne per Email zugeschickt, andere arbeiten auf digitalen Plattformen und müssen sich dort selbständig zurechtfinden. Im Extremfall schickt ein Lehrer Aufgaben per Email, während die andere eine digitale Plattform nutzt. Computer und Internet müssen vorhanden sein, was Familien, in denen sich mehrere Personen einen Computer oder ein Notebook teilen, vor besondere Herausforderungen stellt. Kinder, in deren Haushalt es keinen Drucker gibt, müssen Arbeitsblätter, die nicht digital auszufüllen sind, teilweise von Hand kopieren, um sie bearbeiten zu können. Aufgaben, die analog erledigt wurden, müssen digitalisiert, hochgeladen und übermittelt werden. Dokumente, Fotos, Scans und Videos müssen organisiert und abgespeichert werden. Das kostet Zeit und vor allem jüngere Kinder sind mit dem Maß an Selbstorganisation, die effektives Lernen unter diesen Umständen erfordert, heillos überfordert.
Eltern springen ein
Eltern, die auf gute Vereinbarkeit von Homeoffice und -schooling hofften und dachten, allein aufgrund des Wegfalls von Schulweg und praktisch allen außerschulischen Aktivitäten der Kinder wäre mehr als genug Zeit zum Lernen vorhanden, müssen Managementqualitäten beweisen, nur um Organisation und Logistik zu stemmen. Dabei ist die größte Herausforderung für viele noch eine andere: Wenn der Nachwuchs Hilfe beim Lernen selbst braucht, wird es schnell eng. Ich erinnere mich an eine Szene, als meine damals 4jährige Tochter mit angeschnallten Skiern auf ihre erste Skistunde wartete. Sie fiel aus dem Stand um und ich wollte ihr zeigen, wie sie selbst wieder aufstehen könnte, was mir wütendes Gebrüll und in den Schnee hämmernde Fäuste einbrachte.
Dann kam die Skilehrerin, zeigte es ihr noch einmal und das Kind lächelte und stand auf. Ich wage zu behaupten, 99,9% aller Eltern wissen, was ich meine und es handelt sich hierbei auch um ein Prinzip, das sich nicht mit dem Schulalter auswächst. Lernunterstützung erfordert Zeit und Nerven, von beiden Seiten, denn wie wiederum 99,9% aller Kinder bestätigen können, sind Eltern dabei nicht dafür bekannt, ihren eigenen Kindern gegenüber besonders geduldig zu sein. Vor allem bei älteren Kindern kommen Eltern auch noch durchaus in echte Erklärungsnot, wenn sie sich im geforderten Stoffgebiet selbst nicht gut genug auskennen, um Hilfestellung leisten zu können. Das bedeutet dann gemeinsame Recherche und wieder:
Zeit und Nerven
Eltern erkennen gerade,
dass die Lehrer*innen nicht das Problem sind…
Dieser Spruch kursiert aktuell auf facebook und wer ihn postet, erntet viele Lacher.
Natürlich stimmt er so nicht, weil er impliziert, das Problem wären stattdessen die Kinder. Aber ein Körnchen Wahrheit steckt in ihm, wenn man ihn übersetzt mit: Diese Zeit könnte also einen Einblick geben, wie fordernd pädagogische Berufe sind, sie könnte (nicht nur) Eltern dazu veranlassen, sich zu fragen, ob wir als Gesellschaft die sie Ausübenden auch nur annähernd so wertschätzen, wie sie es verdienen würden.
Passiert das gerade? Meiner persönlichen Wahrnehmung nach eher nicht.
Im Moment erlebe ich viel Mitgefühl und Anteilnahme für die Situation der Eltern und sehe sie auch medial gut vertreten. Pädagog*innen werden dagegen eher im negativen Kontext erwähnt:
Weil sie für gutes Homeschooling zu viele, zu wenige, zu langweilige, zu fordernde, zu einfache, zu komplizierte Aufgaben stellen.
Weil es zu viel zum Ausdrucken (für die Familien ohne Drucker), zu viel zum digital Bearbeiten (für die Familien, die sich einen Computer teilen) gibt.
Weil sie keine Videokonferenzen anbieten, obwohl sich die Kinder so gern einmal sehen würden.
Weil sie Videokonferenzen anbieten, obwohl sie doch wissen müssten, dass nicht alle Kinder freien Computerzugang haben.
Weil sie im Stoff weitergehen, obwohl manche Kinder nicht einmal erreichbar sind und andere mehr persönliche Begleitung bräuchten.
Weil sie nicht im Stoff weitergehen, obwohl manche Kinder sich einfach nur mehr unendlich langweilen bei der zigsten Wiederholung.
Weil nix funktioniert, die Kommunikationswege schlecht organisiert sind, sich keiner auskennt und niemand weiß, wann die Kinder wieder in die Schule gehen können.
Alles Schuld der Pädagog*innen? Der Verdacht drängt sich auf, dass sich diese Haltung nicht wirklich auf Fairness und Realismus stützen kann.
Was ist dann das Problem?
Wir haben ein völlig veraltetes Schulsystem, das in seiner Starre und Unflexibilität ungeeignet für jede Adaption ist, die nötig wäre, um in Ausnahmesituationen wie dieser Unterstützung zu bieten anstatt zusätzlich zu belasten. Diese Probleme sind nicht neu und haben nichts mit der aktuellen Coronakrise zu tun, werden durch sie aber gut sichtbar gemacht.
Und es ist klar, dass sie nicht – schon gar nicht allein – von den Lehrenden gelöst werden können, so lange ihnen auf der einen und Kindern und deren Familien auf der anderen Seite dafür nicht die nötigen Rahmenbedingungen geboten werden.
Und die Lösung?
Jetzt gerade zeigt sich, wie wichtig die Möglichkeit zum personalisierten Lernen wäre – nicht nur für die Kinder und ihre eigene Motivation, sondern auch für deren Familien und die Stimmung zuhause. Was gute Vernetzung und Kommunikation bewirken könnten. Wie wertvoll eine digitale Plattform wäre, die von allen Schulen genutzt werden könnte, mit einem riesigen Fundus an aufbereiteten Lernangeboten für jedes Niveau auf jedem Lerngebiet. Mit Verknüpfungen zu Anleitungen, erklärenden Seiten oder Videos. Eine Plattform, auf der Pädagog*innen wie Kinder sich auskennen, weil sie in der Schule täglich damit arbeiten. Die auch Lösungen bietet für Zeiten, in denen wenig persönlicher Kontakt möglich ist (es muss ja nicht immer Corona sein, auch ein Liegegips kann ein Kind für ein paar Wochen von der Schule fernhalten).
Stellt euch vor, es stünden nicht nur genügend elektronische Devices zur Verfügung, sondern jedes Kind hätte über sein eigenes Gerät jederzeit Zugang zu seiner persönlichen digitalen Lernlandschaft, mit Projekten und Aufgaben, die seinem Wissenstand, seinen Fähigkeiten und seinen Interessen entsprechen.
Kommt euch die Idee bekannt vor? Uns auch.
LEIX – Wir arbeiten daran!